Felicitas & Volker Lehnert

Rommerskirchen - Gill


Themen & Texte


Volker A. Lehnert

In der Auferweckung Jesu zeigt sich Gott
Gedanken zu Lukas 24,13-35

13 Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. 15 Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. 18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. 21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. 24 Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht. 25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! 26 Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? 27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.
28 Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. 29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. 31 Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.
Die berühmte Erzählung von den Emmausjüngern skizziert eine unerwartete Begegnung mit Gott. Können nach wie vor viele Menschen Jesus, seiner Ethik sowie seinem Einsatz für Menschlichkeit etwas abgewinnen, so steigen ebenso viele Zeitgenossen bei der Frage nach der Auferstehung eines Toten aus. So eine Nachricht verträgt sich nicht mit unserer alltäglichen Erfahrung. So etwas klingt nach Hollywood, nach Fantasy oder nach Michael Jacksons Thriller-Video, nicht aber nach gesundem Menschenverstand. Aber täuschen wir uns nicht. Die Einwände vermeintlicher Vernunft gegen die Osterbotschaft sind so alt wie das Evangelium selbst. Paulus notiert: „Wie sagen einige unter euch, es gibt keine Auferstehung der Toten?“ (1 Korinther 15,12). Pilatus lässt das Grab Jesu durch seinen Soldaten bewachen: „Damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten“ (Matthäus 28,64). Als Paulus in Athen predigt, erzeugt er viel Spott, wie Lukas berichtet: „Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die anderen aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören“ (Apostelgeschichte 17,32). Sehr eindrücklich auch die Reaktion einiger Philosophen: „Was will dieser Schwätzer sagen?“ (17,18). Wir sehen, die Osterbotschaft hat es in sich. Ihr wurde von Anfang an widersprochen.
In der Auferweckung Jesu offenbart sich Gott
Zwei Jünger befinden sich auf dem Weg in einen Ort in der Nähe Jerusalems mit Namen Emmaus. Einen Namen erfahren wir: Kleopas. Eventuell handelt es um jenen Klopas, von dem später auch Euseb, der Verfasser der ersten schriftlichen Darstellung der frühen Kirchengeschichte berichten wird. Möglich ist auch, dass es sich bei dem zweiten um Jakobus, den Bruder Jesu, handelt, weil dieser an anderer Stelle im Zusammenhang der Auferstehungsereignisse erwähnt wird (vgl. 1Korinther 15,7).
Die beiden führen ein angeregtes Gespräch über alle „diese Geschichten“ (V.14), die sich in den letzten Wochen und Tagen zugetragen haben. Sie müssen sehr resigniert gewesen sein. Jetzt hatten sie den Messias, auf den ihr Volk so lange gewartet hat, endlich gefunden und dann lässt er sich kreuzigen. Hatte Judas ihn nicht durch seinen Verrat zwingen wollen, sich vor aller Welt, insbesondere vor der römischen Besatzung zu offenbaren? Aber nichts dergleichen. Jesus wurde hingerichtet und der Himmel blieb verschlossen; eine weitere Variation jener weltfremder Idealisten, die die Welt verbessern wollen und nichts erreichen außer ihrer eigenen Beseitigung?
Was nun geschieht, mutet äußerst mysteriös an. Ein Unbekannter tritt zu ihnen und befragt sie über alles, was sie bedrückt. Dass es Jesus ist, erkennen sie nicht. Das kann man auch nicht erkennen, jedenfalls nicht von sich aus. Diese Gewissheit kann man nur von Gott geschenkt bekommen. Was vor Augen liegt, ist ein gekreuzigter Prediger, kein Messias, der die Römer besiegt und kein Meister der Abstraktion, der Philosophen begeistert (vgl. 1Korinther 1,18-25). Zu erkennen, wer und was wirklich in Jesus steckt, liegt nicht vor Augen, lässt sich nicht messen und nicht verifizieren. Es ist allein eine Frage des Glaubens – oder der unerwarteten Begegnung mit Gott.
So debattieren sie mit ihm, resümieren die ganze Geschichte, die Lukas dargestellt hat und bringen ihre enttäuschte Hoffnung zum Ausdruck, nichts ahnend, wer es ist, dem sie das gerade alles anvertrauen. Es erinnert mich an ein schönes Wort von Dietrich Bonhoeffer. Sinngemäß lautet es:
Die Theologiestudenten debattierten nächtelang und wussten alles über Gott, nur eines nicht: Dass er ihnen die ganze Zeit zuhörte…
Das gilt vielleicht auch für so manchen Betrieb in unseren Gemeinden. Sollten wir mal überprüfen.
Aber dabei bleibt es nicht. Allmählich deutet sich noch etwas ganz anderes an:
„Einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Escheinung von Engeln gesehen, die sagen er lebe“ (V.22-23).
Und in diesem Augenblick tritt sie ein, die Stunde der Wahrheit, die unerwartete Gottesbegegnung, jenes Ereignis, das die Welt verändern wird. Der Unbekannte vollzieht gleichsam den Ur-Gottesdienst und prägt die DNA aller Liturgie: Er legt die Schrift aus und feiert das Mahl. In der Lektüre dieser Szene des Lukas nehmen wir teil an der Geburtsstunde des christlichen Gottesdienstes mit Wort und Sakrament, Predigt und Abendmahl und: der persönlichen Anwesenheit des Auferstandenen, dem Sieg über den Tod.
Jesus verweist die beiden auf die Schrift! Das Gleiche tut er auch heute. Er verweist uns auf die Schrift! Das große Thema der Kirche und der Gemeinden ist die Schrift! Sola scriptura – allein die Schrift, das war eine wesentliche Maxime der Reformation. Daher Predigt, daher Bibelwissenschaft, daher persönliche Bibellektüre.
„Und er fing bei Mose an…“. Das Urchristentum verstand unter „Schrift“ das, was wir heute „Altes Testament“ oder „Bibel Israels“ nennen. Sowohl die Evangelien als auch die Briefe sind voll von Zitaten daraus. Die sogenannten Messiasweissagungen, Texte, die einen endzeitlichen Propheten (z.B. 4Mose 24,17), König / Messias (z.B. 2Samuel 7, Jesaja 7; 9; 11), den kommenden Menschensohn (Daniel 7) oder eine neue Welt (z.B. Jesaja 65-66) ankündigen, waren von besonderem Interesse. Da sich die Erfahrung eines gekreuzigten Propheten aber kaum mit der Erwartung eines neuen Königs vertrug, verweist Jesus hier nicht auf diese Texte, sondern darauf, dass der Christus leiden musste (V.26). Im Hintergrund stehen biblische Kapitel wie Jesaja 53, die nicht von einem siegreichen, sondern von einem leidenden Gottesknecht sprachen. Das Leiden Christi hatten die Jünger gerade schmerzlich erfahren. Aber was war mit den übrigen, den positiven Verheißungen?
Am Ende des Tages laden die beiden Jünger den Unbekannten in ihre Herberge ein. Ihre Einladungsworte dienen uns bis heute als Abendgebet: „Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt“ (V.29). Und dann, beim gemeinsamen Abendessen geschieht es: „Als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn“ (V.30-31). Es ist der Auferstandene! Er selbst teilt Brot und Wein aus! Das Gerücht der Frauen vom leeren Grab ist wahr! Hier geschieht vor ihren Augen etwas nie Dagewesenes: Ein Gekreuzigter lebt! Die Menschen hatten sich ins Recht und IHN ins Unrecht gesetzt. Gott kehrt diesen Justizirrtum um: Er setzt seine Schächer ins Unrecht und seinen Sohn ins Recht! Er ist doch ein Sieger, ein Sieger über den Tod, ein Sieger über das Unrecht, ein Sieger über die Schattenseite des Lebens und ein Sieger über die Nachtseite der Wirklichkeit. Ihn IHM, in Jesus, steht ihnen die erste Erfüllung der alten Verheißungen vor Augen. Sie realisieren sich in dieser einen Person, die Maria geboren hatte. Paulus drückt dies so aus:
„Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind“ (1 Korinther 15,20).
Als Erstling! Sozusagen als Prototyp einer neuen Produktionslinie Gottes, der „neuen Kreatur“ (2 Korinther 5,17). Hier steht nicht weniger als: Die von der Schrift und den Propheten angekündigte neue Welt, das Reich Gottes, die Auferstehung der Toten, sie hat begonnen! Jetzt, in diesem Erstling! Einer hat bereits die Teerdecke des Todes durchbrochen wie ein kleines grünes Pflänzchen auf einer wenig befahrenen Straße. Gott hat eine Herzoperation an der Todverfallenheit der Welt vollzogen. Unnachahmlich und unvergessen hat Martin Luther das Osterwunder in seine typischen derben Worte gefasst. Sinngemäß:
Das Totenreich verschluckte den Gottessohn. Aber es hat sich an ihm den Magen verdorben, so dass es ihn wieder ausspeien musste!
Ostern heißt: Das Totenreich hat sich am Sohn Gottes überhoben, es muss sich übergeben, es muss IHN übergeben an das Leben, es muss IHN zurückgeben an Gott.
Christus ist wahrhaftig auferstanden!
Der Gott, der sich in der Auferweckung Jesu offenbart, bleibt doch verborgen
Ich stelle mir vor, wie unsere beiden Jünger gerade in euphorischen Jubel, in religiöse Ekstase ausbrechen wollten, mit dem Brot in der Hand, da verschwindet auch schon wieder. In demselben Augenblick, in dem sie unerwartet Gott begegnen, als ihnen ewige Wahrheit aufblitzt, als der Himmel für einen winzigen Augenblick sein Geheimnis zu erkennen gibt, in demselben Augenblick, in dem Gott sich zeigt, verbirgt er sich wieder: „Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen“ (V.31).
Seltsam, nicht? Gott schenkt uns die Gewissheit, dass Er da ist, aber Er lässt sich von uns nicht besitzen, nicht handhaben. Auch in seiner Offenbarung bleibt Er letztlich Geheimnis. Daher schreibt Paulus: „In Christus liegen verborgen [!] alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kolosser 2,3). Oder: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild“ (1Korinther 13,12). Gott schauen, das bleibt dem Reich Gottes vorbehalten. Auch, wenn wir glauben, dass Christus uns berührt hat, die Wahrheit haben Christen damit nicht gepachtet, im Gegenteil: Wenn es stimmt, dass Er die „Wahrheit“ ist (Johannes 14,6), dann kann es unsere begrenzte Erkenntnis von Ihm gerade nicht sein. Sie bleibt „Stückwerk“ (1Korinther 13,9).
So hat Gott sich an Ostern gezeigt und zugleich der Verfügbarkeit entzogen. Und doch bleibt bei unseren beiden Jüngern ein nachhaltiger Eindruck: ein ‚brennendes Herz‘!
Er ist wahrhaftig auferstanden!
Dieses Ereignis sollte die Welt verändern.


Volker A.Lehnert

Krisen durchglauben

 

Krisen sind Zeiten, in denen alles oder wenigstens vieles, was bislang als selbstverständlich erschien, zu zerfallen scheint. Als Jugendlicher erlebte

ich die Ölkrise der 70er Jahre. Plötzlich waren die Autobahnen leer. Kein Auto fuhr. Was war das? Ein plötzlicher Stillstand? Wird alles wieder so werden, wie es war? Als Student erlebte ich die Zeit der Eskalation des Kalten Krieges: Nato-Doppelbeschluss, Friedensbewegung, Demos, Ostermärsche, Tschernobyl explodierte, die Punkbewegung proklamierte ‚no future‘, die DDR brach zusammen. 2008 folgte die Finanzkrise. Banken brachen zusammen und mit ihnen möglicherweise unser Erspartes. Die Regierung musste mit einer Notlüge die Menschen davon abhalten, ihr Geld abzuheben. Es hat funktioniert, haarscharf. Bis 2020 ermahnten junge Menschen unsere Generation – ich habe inzwischen das 60ste Lebensjahr erreicht – nachdrücklich in Sachen Umweltzerstörung und Klimawandel. Flugverkehr reduzieren, SUV’s abschaffen und Schwerölschifffahrt unterbinden? Das ginge nicht, hörten wir aus Berlin. Es sei zu teuer. Und Kinder gehörten in die Schule.  

Dann kam Corona und es ging plötzlich doch, zumindest die Sache mit dem Flugverkehr. Eigenartig. Plötzlich gibt es Geld ohne Ende, Kinder dürfen nicht mehr in die Schule, Eltern - meist Mütter - müssen die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern übernehmen und Selbstständigen droht der Bankrott, zur Zeit noch verschleiert durch den Aufschub der Insolvenzfristen. Egal. Dafür werden Millionen von Plastik- und Nanopartikel enthaltende Gesichtsmasken aus China importiert und schon Kindern aufgezwungen. Die Nanopartikel landen zwar mit der überhöhten CO2-Rückatmung in der Lunge, aber egal. Kinder laufen auf Spielplätzen voreinander weg, weil sie Angst haben. Maskierte Erziehungspersonen haben ihnen erzählt, der oder die andere sei nun gefährlich, obgleich sich das ganze Jahr lang Kinder so gut wie gar nicht infizieren. Ihr Immunsystem funktioniert einfach noch. Unseres wird nach einem Jahr der Zwangsisolierung aus dem Training sein. Was geschieht, wenn wir uns wieder in die Arme nehmen, bleibt abzuwarten.

Und dann die Sache mit dem Tod. Der allergrößte Teil der gemeldeten Corona-Toten sind Menschen am Ende der durchschnittlichen Lebenserwartung oder darüber hinaus, wie ein Blick auf die Web-Seiten des RKI oder der WHO zeigt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt seit vielen Jahren für Männer bei ca. 78 Jahren und für Frauen bei ca. 83 Jahren. Wieso wird das Sterben ab Mitte 80, das seit Jahrhunderten dem ‚natürlich Tod‘ zugeordnet wird, plötzlich als nationale Katastrophe empfunden? Und wieso trat dieses Phänomen bei anderen Todesursachen bislang nicht auf? 2017 etwa sind über 25.000 Menschen an Influenza gestorben. Das hielt man kaum einer Meldung wert. Unbeschadet der Tatsache, dass das Leben aller Altersgruppen geschützt werden muss, so gut es die Medizin kann, drängt sich hier doch existenzielle Frage auf: Sind wir gerade dabei, die Tatsache, dass unser Leben endlich ist und wir unvermeidlich wirklich werden sterben müssen, aus den Augen zu verlieren und an diesem Punkt Realitätsverlust zu erleiden?

Wir anders die Heilige Schrift:

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90,12)

Wäre es nicht die Aufgabe der Christen, darauf wieder hinzuweisen?

Krisen durchglauben. Ja, was glauben wir denn eigentlich angesichts solcher Krisen? Oder besser, wem glauben wir mehr als der Krise? Noch besser, wem vertrauen wir in derartigen Krisen?

Krisen analysieren

Das Eine ist, die Krise zu analysieren, so gut es einem möglich ist. Ist sie wirklich so bedrohlich, wie sie in der jeweiligen Zeit von den jeweiligen Medien dargestellt wird?

Nehmen wir nochmals die gegenwärtige: Ist eine Infektionswelle mit einer Sterblichkeit von 0,27 % (WHO) bzw. 0,37 % (Heinsbergstudie) mehrheitlich auf oder jenseits der durchschnittlichen Lebenserwartung wirklich ein nationaler Notstand, der die monatelange Außerkraftsetzung wesentlicher Grundrechte legitimiert, die ja genau deshalb Grundrechte heißen, weil sie immer und für jede und jeden gelten? Und was ist mit den vielen Krisen, die überhaupt erst durch die Maßnahmen generiert werden: z.B. Gewalt in Familien, Depressionen, Entwicklungsstörungen bei Kindern, Insolvenzen, drohender Staatsbankrott, nicht zu vergessen die von Bundessminister Gerd Müller angezeigten 400.000 Malariatoten in Afrika, die aus einer Nichtbelieferung mit Medikamenten auf Grund der europäischen Lockdowns resultieren werden?

Eine Krise zu durchglauben heißt, sie zunächst zu analysieren und nach der Wahrheit zu fragen. Auch bezüglich der aktuellen Krise bleiben viele offene Fragen. Denen, die sie öffentlich stellen, schaltet YouTube immer wieder den Account ab. Wieso ist hier plötzlich Zensur am Werke? Die gegenwärtige Krise ist multidimensional. Sie enthält nicht allein virologische, sondern auch psychologische, soziologische, politische, mediale, finanzielle, wirtschaftliche und existenzielle Faktoren. Sie hat einen Auslöser, sie hat Maßnahmen und sie hat Kollateralschäden. Blicken wir allein auf die virologische Seite und den messianisch verklärten Advent der Impfung („Wenn der Impfstoff kommt…“), dann werden die anderen Dimensionen sehr schnell im toten Winkel verschwinden.

Das Andere ist, das, was wir für uns selbst als plausible Einschätzung der jeweiligen Krise erkannt haben, in Beziehung zu setzen zu unserem Glauben. Die Frage der Christen lautet: Was kann das alles eigentlich mit Gott zu tun haben? Das schnelle Schließen von Kirchen ist sicherlich keine überzeugende Antwort auf diese schwierige Frage. Ich konzediere, dass sich Theologie hier in einem Geheimnisbereich bewegt, der sicherlich auch bis zuletzt Geheimnis bleiben wird. Gleichwohl wäre dieses unser eigentliches Thema. Denken, was das Zeug hält, ist ein notwendiges Implikat von Glauben, wenn denn das Wort Jesu „Du sollst Gott lieben mit deinem ganzen Verstand (gr. dianoia)“ (Markus 12,30) irgendwie von Belang ist. Ist es die Wahrheit von Psalm 90,12, an die der Geist uns erinnern will? Ist es die Majestät Gottes (Cabod JHWH), die im Sinne von Hiob 38ff zeigen will, wer der Herr der Welt ist? Verbirgt sich in der Krise - Krise kommt immer noch von gr. krisis = Gericht - eine Ermahnung Gottes, etwa im Sinne der ägyptischen Plagen, die Schöpfung freizulassen, zu entlassen aus der menschlichen Sklaverei, z.B. durch Ausbeutung und ökologische Beschädigung?

Oder hat die jeweilige Krise mit Gott gar nichts zu tun? Schaut Gott lediglich zu, wenn andere Mächte, seien es menschliche (Machtstreben, Schuld, Finanzinteressen) oder gar transzendente (vgl. Epheser 6,10-10) sich austoben? Dann stellt sich in jedem Fall die letztlich unauslotbare Theodizeefrage, wie Gott dieses zulassen kann.

Oder gehen auch Christen insgeheim de facto atheistisch mit dieser Frage um und starten den Versuch, in ihrem Glauben eine Beziehung der Krise mit dem Handeln Gottes auszuloten erst gar nicht?

Das Dritte wäre, die Krise zu durchglauben. Eine wunderbare Erzählung liefert uns Matthäus 14,22-33. Petrus gerät mit einem Boot in einen Sturm. Während Wind und Wellen Angst erzeugen, erscheint plötzlich Jesus auf dem Wasser. Im Blick auf IHN wird Petrus mutig, verlässt sein Boot und siehe da, das Wasser trägt auch ihn. Solange er auf Jesus blickt. Doch plötzlich lenkt ihn der Sturm ab und er lässt sich von ihm in Angst versetzen. Da beginnt er zu sinken. Aber Christus ist da und rettet ihn.

Die Geschichte spricht für sich. Eine Krise zu durchglauben heißt, sie zunächst in ihrer Realität wahrzunehmen, dann zu versuchen sie für sich selbst in Beziehung zu Gott zu setzen und schließlich: sich nicht in Angst versetzen zu lassen, sondern Christus mehr zu vertrauen als dem, was vor Augen liegt.

Es ist die Hoffnung, aus der wir die Kraft schöpfen, Krisen zu ertragen, zu bewältigen und zu überwinden. Paulus fasst diese Dimension des christlichen Glaubens in unsterbliche Worte:

Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll“ (Römer 8,18).

That’s it!

in: Aufschlüsse. Zeit-Schrift für spirituelle Impulse 80 (2021) S.41-45.


Volker A. Lehnert

Der Ritt in den Sonnenuntergang
oder: von der Kunst alt zu werden

Vor einigen Monaten strahlte das Fernsehen eine Musikshow zur Erinnerung an die 70er Jahre aus. Moderation: Thomas Gottschalk. Alternde Musikerinnen und Musiker brachten die Hymnen der heute über 60-jährigen auf die Bühne. Erinnerungen und regressive Gefühlswallungen brachen sich Bahn und der Moderator war voll in seinem Element. Im Abspann dankte er allen Mitwirkenden und dann wandte er sich an das Publikum mit den Worten:

„Wir reiten dem Sonnenuntergang entgegen…“.

Ein bemerkenswerter Satz, oder? Ruft er doch nicht weniger ins Bewusstsein als die unwiderlegbare Tatsache, dass die Generation, die jetzt eben an seiner Sendung viel Spaß gehabt hat, diejenige ist, die nun in ihr letztes Lebensviertel einbiegt. Sonnenuntergang – Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen (Ps. 90,12). Übernahm hier plötzlich das Unterhaltungsfernsehen die Funktion des Psalms?

In jedem Fall wurde das Thema aufgerufen, an dem kein Mensch, ja kein Lebewesen vorbeikommt. Unsere Zeit ist begrenzt und der Herbst des Lebens führt – auch wenn mancher Zeitgenosse gelegentlich Anwandlungen eines zweiten Frühling zu verspüren vorgibt – unwiderruflich in den Winter.

Im Folgenden also einige Gedanken zum Altwerden:

Altwerden ist unvermeidlich

Das Altern ist nicht zu verhindern, es sei denn, man stirbt zu früh. Dabei wollen viele Menschen zwar alt werden, aber nicht alt sein. Das wäre schön, geht aber nicht. Anti-Aging ist nichts anderes als die kommerzielle Ausnutzung der Todesangst, indem man für einen suggestiven Verdrängungsprozess auch noch bezahlt. Sport ist ein ehrenwerter Versuch, sich einige Jahre länger fit und beweglich zu halten, besonders gegen die zeitgenössische Sitzkrankheit in vielen Berufen, allein das Sterben verhindert er nicht. Übertreiben wir’s, wie es viele Hochleistungssportler demonstrieren, altern wir sogar früher. Auch das immer wieder zu beobachtende Phänomen einer neuen, jüngeren Partnerwahl im fortgeschrittenen Alter, ist nichts anderes, als die verzweifelte Illusion, noch einmal zurück auf Null springen zu können und dabei 1000 Euro einzuziehen.

Das Alter ist nicht zu verhindern, sondern gehört zum Leben. Wir sollten dem ins Auge sehen und uns darauf einstellen. Unsere Uhr tickt und nichts hält sie  auf.

Altwerden stellt vor neue Aufgaben

Welche Herausforderung stellt das Alter dar? Körperliche Kräfte lassen nach, oft auch geistige. Die berufliche Funktion erlischt, jedenfalls in den meisten Berufen. Die gesellschaftliche Bedeutung verblasst. Neue Generationen gehen neue Wege und die Erfahrungen der Alten werden oft übersehen oder tragen nicht mehr, weil die Welt, der sie gedient haben, gar nicht mehr existiert. Welchen Sinn hat das Leben, wenn die Erwerbstätigkeit durch die Rente abgelöst wird, die Kinder lange aus dem Haus sind und die Weggenossen aus der Jugend allmählich ihre letzte Reise anzutreten beginnen? Gerade war man noch zu Hochzeiten und Taufen eingeladen, da mehren sich auch schon die Beerdigungen. „Ein Dampf seid ihr“, schreibt Jakobus.

Stimmt!   

Altwerden führt oft in die Quantitätsfalle

Todesangst verführt uns oft dazu, unser Leben in erster Linie quantitativ zu betrachten und dabei die Sinnfrage zu vernachlässigen. Was muss ich tun, damit ich noch möglichst lange einsatzfähig bin? Wozu, das weiß ich gar nicht, aber wenigstens möglichst lange. Unzählige Gespräche im Rahmen der Seelsorge belegen dies, nicht nur mit denen, die in Heimen leben.  

Welche Aufgabe hält denn das Leben, hält Gott für mich bereit, wenn der Beruf entfällt und die Vitalität vergeht?

Der Kabarettist Jürgen Becker hat einmal ein Symposion der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Thema Ehrenamt moderiert. Dabei führte er in unnachahmlicher ‚rheinischer‘ Manier aus, die evolutionäre und historische Grundlage des Ehrenamtes bestünde in der Tatsache, dass die Lebenserwartung des Menschen weit über die natürliche Fortpflanzungszeit hinausgeht, was den Sinn hätte, die nächste Generation in der Aufzucht von deren Kindern zu unterstützen. In der Großelternschaft bestünde damit die vornehmste Aufgabe des letzten Lebensviertels. Da auf Grund moderner Lebenswelten die Wohnorte von Großfamilien oft weit auseinander liegen, gibt es zunehmend Großeltern ohne Enkel und Enkel ohne Großeltern. In den Ehrenamtszentralen vieler Städte hat sich daher ein Wahlgroßelternsystem etabliert. Offensichtlich meldet sich das qualitative Bedürfnis doch immer wieder von selbst.

Es geht aus christlicher Sicht eben nicht in erster Linie darum, möglichst lange zu leben, sondern die Lebenszeit, die einem geschenkt wird, möglichst sinnvoll zu nutzen. Die Quantifizierungssuggestion der modernen Konsumgesellschaft führt hier definitiv in die Irre.

Aber auch, wenn mir keine Enkel vergönnt sind, die Frage ist immer: Welche qualitative Aufgabe kommt mir eigentlich zu bei meinem Ritt in den Sonnenuntergang?

Das vierte Quartal als Zugabe betrachten

Folgt man der evolutionstheoretischen Auffassung Jürgen Beckers nicht, könnte man das vierte Quartal auch anders interpretieren. Die berufliche Lebensarbeit wird mit der Pensionierung beendet. Der Primäranteil familiärer Lebensarbeit ist abgeschlossen, wenn die Kinder auf eigenen Füßen stehen. Damit habe ich mein Werk auf Erden getan. Was jetzt noch an Lebensjahren kommt, ist Zugabe. Es besteht kein Anspruch mehr. Zugaben kommen immer obendrauf, ‚on top‘ sozusagen. Interpretiert man sein Altern in dieser Weise, kehren sich sofort die Perspektiven um. Aus „Womit habe ich das verdient, dass sich alles reduziert?“ wird: „Wie komme ich eigentlich zu der unverdienten Ehre, weitere zusätzliche Jahre geschenkt zu bekommen?“ Aus Einschränkung wird Beschenkung, eine spezifische Sichtweise, die unser Lebensgefühl nachhaltig zu verändern vermag.

Den Verlust der eigenen Jugend nicht als Verfall der Welt deuten

Älterwerdende neigen schnell dazu, ihre Vergangenheit zu verklären. Früher war eben alles besser. Dass dies nicht stimmt, ist zwar eigentlich klar, wird aber subjektiv meist nicht so empfunden. Bedauert wird der eigene Verfall. Um diesen zu ertragen, projizieren wie die schmerzliche Realität auf die nachrückende Jugend. Und schon sind die neuen Zeiten unglaublich kritikwürdig, obwohl unser Sozialsystem den meisten Menschen einen Lebensabend beschert wie es ihn noch nie in der Weltgeschichte gab. Hier tut eine Umkehr der Perspektive not, denn die individuelle Sichtweise prägt das zugehörige Lebensgefühl. 

Dort, wo alte Menschen sich für die Fragen der Jugend interessieren und nicht in erster Linie das Gegenteilige erwarten, bleibt oftmals geistige Wachheit länger erhalten. Wer Anteil nimmt am Weltgeschehen, erhöht seine Chancen den eigenen Verfall spürbar zu entschleunigen.

Gerne erinnere ich mich an einen 90jährigen Arzt in meiner Gemeinde. Er litt viele Jahre lang an Krebs, hat sich aber nicht beirren lassen, sich nicht ständig selbst zum alleinigen Thema gemacht. Kehrte ich von der Landessynode zurück, konfrontierte er mich stets sofort mit Fragen zu den neuesten Beschlüssen, die er in der Presse aufmerksam verfolgt hatte. Der alte Herr hat mich mächtig beeindruckt. Er wollte bis zuletzt Anteil nehmen an der Geschichte seiner Gegenwart.

Ja, auch er ritt dem Sonnenuntergang entgegen, wer wollte das bestreiten. Aber er tat es würdig und aufrecht und hoffnungsvoll. Er hatte die Kunst des Altwerdens entdeckt.

Und er wusste vom Sonnenaufgang…


Volker A. Lehnert

Ich glaube -
Das CREDO als Zip-Datei des Vertrauens

Ein Glaubensbekenntnis wird in Theologie und Kirche als „Credo“ bezeichnet. Das ist 1. Person Singular Präsens von lat. credere = glauben, vertrauen. „Credo“, traditionell übersetzt mit „ich glaube“ könnte also auch mit „ich vertraue“ wiedergegeben werden, was auch dem im Neuen Testament verwendeten griechischen „pisteuo“ entspräche.

Zwischen ‚glauben‘ und ‚vertrauen‘ besteht nämlich durchaus ein kleiner, aber feiner Unterschied. Dies lässt sich gut verdeutlichen am semantischen Spektrum des Wortes ‚glauben‘ im Deutschen:

‚Glauben‘ kann zunächst bedeuten, irgendetwas ‚für wahr zu halten‘, ohne dass es weiter von persönlichem Belang wäre. Zum Beispiel die Wetternachrichten. Wenn mir am Ende der Tagesschau angekündigt wird, der morgige Tag werde bedeckt sein, dann habe ich keinen Grund dies nicht auch zu glauben. Es wird dann wohl so kommen. Habe ich aber am nächsten Tag gar nicht vor das Haus zu verlassen, dann könnte diese Information, die ich sehr wohl glaube, für mich persönlich reichlich belanglos bleiben. Ich glaube dann etwas, was aber ohne jegliche Relevanz bleibt. Die altprotestantische Dogmatik bezeichnete diese Gestalt von Glauben als ‚notitia‘. Ich nehme etwas zur Kenntnis, ohne dass es mich in irgendeiner Weise beträfe.

‚Glauben‘ kann aber auch bedeuten, irgendetwas für ‚wahr zu halten‘ und es zugleich auch für mich ‚anzuerkennen‘. Zum Beispiel die zehn Gebote. Viele Menschen, auch von der Kirche Distanzierte, erkennen das Ethos der zweiten Tafel durchaus an. Nicht stehlen ist richtig und hat Bedeutung für sie. Sie werden dann ebenfalls nicht stehlen. Nicht töten ist richtig und hat Bedeutung für sie. Sie werden dann ebenfalls nicht töten. Die altprotestantische Dogmatik bezeichnete diese Gestalt von Glauben als ‚assensus‘. Ich nehme etwas zur Kenntnis und erkenne es zugleich als für mich relevant an. Es betrifft mich.

‚Glauben‘ kann aber auch noch etwas anderes bedeuten. Nehmen wir an, ich erzähle Ihnen, mir sei es soeben gelungen als fünffacher Großvater noch meinen Flugschein zu bestehen. Würden Sie mir glauben im Sinne von ‚notitia‘? Vermutlich ja, denn sie hätten hoffentlich keinen Grund zu der Annahme, dass ich Sie belüge. Würden Sie mir glauben im Sinne von ‚assensus‘, also wirklich anerkennen, dass ich da noch einmal etwas geschafft habe, was Sie mir vielleicht gar nicht zugetraut hätten, würde man das daran merken, dass Sie es möglicherweise schnell Dritten weiterzählen würden.
Woran aber würde man erkennen, dass Sie mir auch wirklich zutrauen zu fliegen? Wohl daran, dass Sie mit mir zum Sportflughafen führen, in meine bereitstehende Cessna einstiegen und sich mit mir als Pilotneuling in die Lüfte erheben würden. Sie würden dann nicht nur zur Kenntnis nehmen, dass ich den Flugschein habe, Sie würden nicht nur anerkennen, dass ich fliegen kann, nein, darüber hinaus würden Sie sich mir auch ‚anvertrauen‘. Die altprotestantische Orthodoxie bezeichnete diese Gestalt von Glauben als ‚fiducia‘, Vertrauensglauben.

Sowohl die biblischen Texte als auch das Glaubensbekenntnis spricht in dieser dritten Kategorie von Glauben. Glauben heißt nicht allein ‚für wahr halten‘ und ‚anerkennen‘. Glauben heißt in erster Linie ‚sich jemandem anvertrauen‘.

Übrigens steckt ein Rest dieses Verständnisses auch noch in dem Lehnwort ‚Kredit‘, denn wer einen Kredit gibt, vertraut darauf, sein Geld eines Tages auch wirklich wieder zurückzuerhalten. 

Das Glaubensbekenntnis spiegelt diese Dimension wider in der Konstruktion mit ‚an‘, lat. credo ‚in‘: Ich glaube ‚an‘ Gott, ‚an‘ Jesus Christus, ‚an‘ den Heiligen Geist.

 

Ich glaube an Gott

Notitia hieße: Ich nehme zur Kenntnis, irgendetwas Höheres wird es wohl geben. Die Bibel gibt diesem Höheren ein Gesicht. Aber nichts Genaues weiß man nicht. Auch hat sich dieser Gott bei mir noch nicht vorgestellt. Agnostische Positionen, die den Schritt zum bekennenden Atheismus nicht oder noch nicht vollzogen haben, argumentieren gerne in dieser Weise. Sie leugnen Gott nicht - irgendwoher muss ja schließlich alles kommen -, aber er bleibt konturlos, irrelevant, nicht greifbar.

Assensus hieße: Ich erkenne an, dass es Gott gibt. Er ist der Schöpfer der Welt, die prima causa aller Wirklichkeit. Er ist im Sinne Kants dann wohl auch der höchste Gesetzgeber, der Inbegriff des Kategorischen Imperativs und die alles bemessende Instanz. Aus seiner Schöpfermacht folgt eine Ethik der Bewahrung der Schöpfung. Aus seinen Geboten folgen eine Grundhaltung des sozialen Zusammenlebens und ein Bemühen um Gerechtigkeit.

Fiducia aber hieße: Ich vertraue mich IHM an. Ich glaube nicht allein, dass Er da ist, sondern, dass er die Welt und damit auch mich wirklich in seiner Hand hält. Fiducia sagt nicht allein ‚Es gibt einen Gott‘, sondern auch ‚Du bist da!‘ Fiducia tritt in eine Beziehung zu Gott und pflegt den Kontakt mit ihm. Fiducia betet. Fiducia vertraut sich ihm an im Leben und im Sterben. Fiducia ist es gelungen, das Urvertrauen des Herzens, das in der Kindheit einmal allein den Eltern galt, auf den Urgrund der gesamten Wirklichkeit auszudehnen.

 

Ich glaube an Jesus Christus

Notitia hieße: Ich nehme zur Kenntnis, dass es einst einen galiläischen Wanderprediger gab, an Weihnachten geboren, der vom Glauben beseelt für seinen Glauben gestorben ist. Offensichtlich konnte dies dem Eindruck, den er auf seine Anhänger gemacht hatte, nicht schaden und sie glaubten weiterhin an ihn. Irgendwie hat sich dann das Christentum in der Welt verbreitet und diese geprägt. Dies neigt sich in der Gegenwart dem Ende zu und in Zukunft wird es etwas Neues Prägendes geben. Es gehört aber noch zum Allgemeinwissen, über diese Traditionen einige Kenntnisse zu haben. Und es kann ja auch nicht schaden, kirchlich beerdigt zu werden.

Assensus hieße: Dieser Jesus ist schon bedeutsam. Albert Schweizer vertrat die Auffassung, selbst wenn er nie gelebt haben sollte, müsste man dennoch an ihn glauben, denn durch seine Prägung und Inspiration verändert sich die Ethik der Welt zum Guten. Sein Gebot der Liebe ist unbedingt anerkennenswert und tut dieser Welt auch Not. Ohne Liebe wäre ja alles nichts. In Kindergarten und Schule sollten die Geschichten von Jesus erzählt werden. Menschliche Herzen, die von ihm angerührt werden, werden dadurch noch menschlicher.

Fiducia aber hieße: In Jesus Christus hat Gott seinen Fuß auf diese Welt gesetzt. Wer Ihn sieht, der sieht in Gottes Angesicht. Er hat die Menschen mit der Liebe Gottes berührt. Und er berührt auch mich. Viele sind daran genesen. Viele sind neue Menschen geworden. Etliche haben neue Kraft und Hoffnung geschöpft. Auch ich. Etliche haben die Angst vor dem Tod verloren. Als er starb, ist in Wahrheit nicht er, sondern der Tod gestorben. Wie Luther sagt: Das Totenreich hat sich an ihm den Magen verdorben, daher musste es ihn wieder ausspeien. Ostern ist die eigentliche Realität der Welt. Ich bin getauft. Sein Weg ist somit auch mein Weg. Mein Tod wird mit seiner Auferstehung eins. Allen Verfehlungen meines Lebens begegnet er mit Barmherzigkeit. Er hat mit seiner Liebe Fußstapfen hinterlassen, in denen ich mich bewegen kann. Wenn die Stunde Null für mich kommen wird, weiß ich, er wartet auf mich an dem Ort, an den er schon vorangegangen ist. Wo immer dies sein wird. Wenn ich sterben muss, lädt er mich in seine Cessna ein und alles wird gut sein. Fiducia heißt, ich halte dies nicht nur für möglich, sondern ich bin gewiss, es wird so sein. Darauf vertraue ich.

 

Ich glaube an den Heiligen Geist, ich glaube die Heilige christliche Kirche

Es ist interessant, dass es im dritten Artikel bezogen auf die Kirche nicht ‚credo in‘ heißt, sondern ‚credo ecclesiam‘, also nicht: Ich glaube ‚an‘ die Kirche, sondern: Ich glaube ‚die‘ Kirche. Unser existenzielles Vertrauen gehört nicht der Institution, sondern dem Herrn der Institution, wenn man so will dem Eigentümer der Kirche! Die Kirche rettet nicht, die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die darauf vertrauen, dass sie durch Jesus, aramäisch Jeschua, der Retter, gerettet sind. Sie hat allerdings insofern den Charakter einer Rettungsstation, als dass sie Menschen auf den Retter hinweist und diesen in gewisser Weise auch repräsentiert, und dies, obwohl sie „sein Leib“ genannt wird, durch den Heiligen Geist. Insofern gilt der Kirche wohl unser ‚assensus‘, dem Herrn der Kirche aber unsere ‚fiducia‘.

 

Was also ist das Credo?

Das Credo als Text ist jedenfalls kein Text, den für richtig zu halten schon mein ‚credo in‘ Gott vollziehen würde. Er ist eine Art ‚mind map‘, eine Kurzskizze des Glaubens. Er zeigt die Grundlagen christlichen Gottesverständnisses in Stenographie. Das Credo ist eine Verdichtung, eine Zip-Datei der Offenbarung, die es zu entpacken gilt. Wird sie entpackt, entfaltet sie ihre Wirkung. Menschen beginnen, die zu Grunde liegenden biblischen Geschichten nachzulesen und ringen um deren Verständnis. Menschen beginnen, sich zu fragen, was sie denn selber glauben. Halte ich eine postmortale Existenz für möglich? Steckt Gott hinter dem Urknall? Worin besteht mein Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung? Was heißt, dass wir uns eines Tages vor Gott werden verantworten müssen? Was hat der ‚dritte Tag‘ mit mir zu tun? Worin besteht meine eigene Hoffnung?

Das Credo als Text ist eine Zip-Datei des Glaubens. Mein Credo als innere Haltung ist ein subjektiver Vertrauensakt Gott gegenüber. Glauben ist gut, Vertrauen ist besser. Daher plädiere ich dafür, ab sofort in deutschsprachigen Bibelübersetzungen das Verb ‚glauben‘ durch das Verb ‚vertrauen‘ zu ersetzen. Dann liest sich plötzlich alles ganz anders.                     



GOTT – Ein Bild fällt aus dem Rahmen

Die Frage nach der Legitimität von Gottesbildern hat in der Theologiegeschichte breite Aufmerksamkeit erlangt. In der reformierten Tradition wird das Bildergebot, besser: das Bilderverbot, bekanntlich als eigenes, als zweites Gebot aufgefasst. Sogar von Bilderstürmern hören wir immer wieder in verschiedenen Epochen der Kirchengeschichte. Was aber verbirgt sich hinter diesem Thema?

Beginnen wir ganz vorne:

In Gen 1,26 setzt Gott sich selbst ein Ebenbild: den Menschen. Dahinter steht wohl eine antike Königskritik, eine Anti-Apotheose, ein Protest gegen die Selbstvergottung. Galten in der orientalischen Umwelt allein die Könige als Ebenbilder der Götter, so in Israel alle Menschen. Die Kennzeichnung des Menschen als Gottes Ebenbild wäre dann als herrschaftskritischer, emanzipatorischer Akt aufzufassen. In gewissem Sinne haben wir es hier mit dem geistesgeschichtlichen Vorläufer und Generalimpuls zur Entwicklung von Menschenwürde und Menschenrechten zu tun.

Das Bilderverbot in Ex 20,4 bezieht sich wahrscheinlich auf altorientalische Götzenbilder, in denen die jeweilige Gottheit gleichsam sakramental gegenwärtig  geglaubt und kultisch verehrt wurde. Dies soll dem Gott Israels gegenüber nicht geschehen, wie die Erzählung vom goldenen Kalb eindrücklich illustriert (Ex 32). Er ist allein in seinem Wort und in seinem Namen präsent (Ex 3,14).

Über diese beiden Gestalten von ‚Gottesbildern‘ hinaus kennt die Bibel eine reiche Fülle von sprachlichen Gottesbildern im Sinne narrativer und metaphorischer Rede von  Gott. Logischerweise kann sich das Bilderverbot auf diese Art der Gottesbilder nicht beziehen, jedenfalls nicht kategorisch.

Betrachten wir eine kleine Auswahl:

Gott wird dargestellt als Schöpfer (Gen 1-2), Richter (Gen 6-9), Retter (Ex 12-14), Arzt (Ex15,26), König (Ps 97), Vater (Mt 6,9), Mutter (Jes 66,13), Weingärtner (Jes 5), Wort (Joh 1,1), Liebe (1 Joh 4,16), Feuer (Hebr 12,29), Geist (Joh 4,24) und als  vieles mehr. Er ist präsent im Wort (Jes 55,10f), im Säuseln (1 Kö 19,12), im Brausen (Hiob 38), im Tempel (1 Kö 8,17), im Sohn (Joh 10,30), im Geist (Apg 2), in der Gemeinde (Mt 18,20) und in vielerlei Weise mehr.  

Worin liegt diese große Vielfalt begründet?

Aus theologischer Sicht in der Undarstellbarkeit Gottes. Gott ist und bleibt das größte  „Geheimnis der Welt“ (E. Jüngel) und „wohnt in einem unzugänglichen Lichte“ (1 Tim 6,16). Gott entzieht sich per definitionem unserer Erkenntnisfähigkeit (1 Kor 2, 6-16). Wir schauen lediglich in einen „dunklen Spiegel“, schreibt der Apostel Paulus, und unsere Erkenntnis vollzieht sich immer nur „stückweise“ (1 Kor 13,12). Die vielen unterschiedlichen biblischen Gottesbilder stehen daher notwendigerweise in Spannung zueinander, um genau dies zum Ausdruck zu bringen. Auf diese Weise bringen ausgerechnet die sprachlichen Gottesbilder die Unaussprechlichkeit Gottes zur Sprache, indem sie widersprüchlich, vielgestaltig und polyvalent von Dem reden, von Dem man als Mensch eigentlich gar nicht reden kann, jedenfalls nicht hinreichend. Die biblische Kreation von sprachlichen Gottesbildern erfüllt damit paradoxerweise das Bilderverbot und zwar genau dadurch, dass diese sich gegenseitig relativieren, korrigieren, ergänzen, in Frage stellen oder bisweilen sogar aufheben.

Es ist diese Einsicht in die sprachliche Pragmatik metaphorischer Rede, die unseren Glauben vital hält, indem sie uns vor der Ontologisierung der Metapher, dem vordergründigen wörtlichen Verständnis von Bildsprache bewahrt und genau dadurch Immunität gegen Fundamentalismus befördert. Wir können von Gott eben immer nur gleichnishaft sprechen und niemals dogmatisch korrekt. Gott ist nie „so“, sondern immer nur „wie“.

Die Theologie hat diese Zusammenhänge immer wieder bedacht:

Berühmt geworden ist Dietrich Bonhoeffers provokante Formulierung: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“. Natürlich war Bonhoeffer nicht der Meinung, es gäbe keinen Gott, ganz im Gegenteil, aber Gott „gibt“ es eben nicht, wie es irgendetwas anderes auf dieser Welt „gibt“. Er ist nicht ‚etwas, das es gibt‘, sondern der ‚Grund und der Ursprung‘ all dessen, ‚was es gibt‘.

Martin Heidegger würde sagen, das ‚Sein‘ ist gerade nicht das ‚Seiende‘, sondern das ‚Sein‘ des ‚Seienden‘.

Und Karl Barth hat einmal sinngemäß formuliert: Wenn du ganz und gar sicher bist, etwas von Gott verstanden zu haben, kannst du ganz und gar sicher sein, dass es nicht Gott war, von dem du etwas verstanden hast.  Insofern ist die polyphone Gleichzeitigkeit spannungsvoller Gottesbilder ein narrativer Ausdruck dialektischer Theologie.

Das Wesen biblischer Gottesbilder besteht in ihren überzogenen anthropomorphen Darstellungen. Das Transzendente, besser: der Transzendente wird immanent zur Sprache gebracht, das n-Dimensionale 3-dimensional gefasst. Sprachliche Gottesbilder haben in dieser Hinsicht etwas mit der Inkarnation des Jenseitigen zu tun. Am Ende erklären sie nichts, sondern führen ins Staunen.  Aber möglicherweise besteht ja gerade darin die höchste theologische Erkenntnis.

Prominent wird uns dies in Hiob 38 vor Augen geführt. Gott erscheint dem Hiob in einer eindrucksvollen Theophanie, die aber am Ende nichts entschlüsselt, nichts einsichtig macht, nichts erkennen lässt, außer, dass Er Gott ist und Hiob ein Mensch. Diese Gottesbegegnung führt nicht in die vollendete theologische Erkenntnis, sondern in die Demut und ins Staunen. Wer Gott verstehen will, muss eben verstehen, dass er Ihn nicht verstehen kann und fängt genau darin an, Ihn zu verstehen. Wer demgegenüber ein einzelnes der vielen sprachlichen Gottesbilder herausgreift und dieses verabsolutiert, der schafft sich nicht weniger als ein goldenes Kalb.

Ein letzter Gedanke aber darf nicht fehlen. Aus christlicher Sicht ist er der entscheidende:

Menschen ist es nicht gegeben, ein definitiv gültiges Bild von Gott zu entwickeln. Gott selbst allerdings sehr wohl. Der Begriff der ‚Gottesvorstellung‘ kann ja sprachlich durchaus doppelsinnig aufgefasst werden. Er kann im Sinne des ‚genitivus objectivus‘ die Vorstellungen bezeichnen, die Menschen sich von Gott machen. Er kann aber genauso im Sinne des ‚genitivus subjectivus‘ die ‚Vorstellung Gottes‘, die dieser von sich selbst gibt, verstanden als ‚Selbstvorstellung‘ Gottes, bezeichnen. In diesem Falle sprechen wir von der Vorstellung, die Gott auf dieser Welt gegeben hat, oder besser, von der Art und Weise, wie Er sich dieser Welt vorgestellt hat. Und genau dies ist in Jesus Christus geschehen:

„Er kam sein Eigentum“ (Joh 1,11) – „Ich und mein Vater sind eins“ (Joh 10,30) – „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh 14,9), und klassisch in paulinischer Diktion:

„Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15).

In Jesus begegnen wir der sichtbaren Selbstvorstellung des unsichtbaren Gottes, dem ultimativen Selbstbildnis Gottes gewissermaßen. Aber Vorsicht! Auch hier haben wir lediglich ein paar alte Texte vor uns, vier Evangelien und einige Briefe. Unsere Perspektiven auf Jesus bleiben somit wiederum vielgestaltig, unsere Jesusbilder auch und unser Christusverständnis erst recht, geradezu postmodern! Der Glaube begegnet zwar dem lebendigen Gott, sozusagen vollzogen von Herz zu Herz, unsere kognitive Gotteserkenntnis aber ist und bleibt Stückwerk. Bis wir Ihn dereinst sehen werden, „wie er ist“ (1 Joh 3,2). Aber dies liegt in der Zukunft.

Somit fallen biblische Gottesbilder immer wieder aus dem Rahmen. Warum? Wozu? Nach meiner Auffassung, damit sich unser persönliches Gottesbild nicht verfestigt, damit es nicht erstarrt, damit es nicht zur dogmatischen Richtigkeit und dadurch zur Ideologie wird! Wir brauchen keine einfachen religiösen Richtigkeiten, wir bedürfen des Lebens in Fülle! Gott ist immer mehr und anders und größer und lebendiger als alles, was wir von ihm zu erkennen meinen. Wie ein realer Mensch hinter seinem Foto immer ganz anders ist, als es das Foto erkennen lässt, so ist Gott hinter seinen Bildern ebenfalls immer größer, geheimnisvoller und lebendiger als es uns unsere Vorstellungen erahnen lassen.

Verfinge sich ein Mensch in seinen begrenzten Gottesbildern und identifizierte er diese mit der absoluten Wahrheit, verlöre er den grenzenlosen lebendigen Gott selbst aus den Augen. Und genau deshalb fällt Sein Bild immer wieder aus dem Rahmen – ganz im Sinne des 2. Gebotes.



Erziehungsverantwortung

Um Rollenbilder wird seit geraumer Zeit heftig gerungen. Wie kann soll sich Vaterschaft künftig darstellen? Der Beitrag zeichnet einige Linien aus der biblischen Tradition nach und bezieht sie auf heutige Fragestellungen:

Biblische Aspekte zur Vaterschaft


Ewiges Leben?

In der aktuellen Ausgabe der von der Evangelischen Kirche im Rheinland herausgegebenen Schriftenreihe 'DEBATTE' führen Dr. Volker A. Lehnert und Dr. Michael Schmidt-Salomon eine Kontroverse über die Frage nach dem 'Ewigen Leben'. 

Dieses Gespräch und die Möglichkeit, sich an dieser Diskussion zu beteiligen, finden Sie hier:

Dr. Volker A. Lehnert und
Dr. Michael Schmidt-Salomon
WOHIN DES DES WEGES?


Vortragsthemen